Demonstrieren im Sauerland – 50 years ago

Man sagt ja, dass man sich an Ereignisse der Kindheit und Jugend besser erinnert, wenn man älter wird. Das hab ich noch nicht erreicht, aber 50 Jahre sind ein guter Zeitraum um an meine ersten Demonstrationen zurückzudenken. (Angeregt durch Wolf Arnold und seine Erinnerung an eine ähnliche Anti-NPD-Demonstration 1968.

No.1: Attendorn
Solidaritätsdemo zum Einmarsch in Prag / August 1968

„In der Nacht zum 21. August 1968 marschierten etwa eine halbe Million Soldaten der Sowjetunion, Polens, Ungarns und Bulgariens in die Tschechoslowakei ein und besetzten innerhalb von wenigen Stunden alle strategisch wichtigen Positionen des Landes.“ So beginnt der entsprechende Wikipediaartikel.(https://de.wikipedia.org/wiki/Prager_Fr%C3%BChling#Einmarsch_der_Truppen_des_Warschauer_Paktes)
Wahtrscheinlich wurde die Demonstration organisiert von der CDU, die im Sauerland eine Art von Alleinvertretungsanspruch hatte. In meinem Freundeskreis wurde die Demo durchaus diskutiert, ob sie denn nun nicht doch zu antikommunistisch sein könnte. Ich war und bin der Meinung, dass Freiheit unabhängig ist von irgendwelchen politischen Vorzeichen und bin mitgelaufen.
Erinnerungswert ist noch, dass ein jüngerer Freund (Sohn des örtlichen Zahnarztes) permanent „Dutschke, Dutschke“ rief, bis wir ihm sagten, dass es sich in Prag um den KP-Vorsitzenden Dubček handeln würde.

Nr. 2: Essen
Demonstration gegen Westdeutsche Allgemeine Zeitung wegen ihrer Berichterstattung zu den Essener Songtagen / 29.09.1968

Im September 1968 fanden in Essen die Internationalen Essener Songtage (https://de.wikipedia.org/wiki/Internationale_Essener_Songtage) statt. Mit einem ausgezeichneten Programm (http://www.detlev-mahnert.de/songtage-programm.html) und einer fünftägigen Veranstaltungsreihe war es für mich das herausragende Ereignis der 60er.
Erregt durch die Berichterstattung der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung gab es viel Unruhe und am letzten Tag eine vormittägliche Demonstration zum WAZ-Gebäude. Zurück in der Grugahalle wollten wir Demonstranten über die Presse diskutieren. Auf der Bühne war Alexis Korner, der das für Blödsinn hielt. Nach kurzem Hin und Her gab es doch eine Diskussion wie an allen Tagen zuvor auch.
Einige Organisatoren verfassten einen Aufruf gegen die WAZ (Kopie ist entnommen: Detlev Mahnert & Harry Stürmer: Zappa, Zoff und Zwischentöne, Essen 2008, ein hervorragendes Buch über die Zeit und die Hintergründe. Derzeit nicht ganz billig):

No.3: Siegen
Demonstration gegen NPD-Parteitag in Siegen / 18.11.1968

Ich ging damals in Siegen zur Schule und erfuhr so von dem Parteitag und der Demo. Ich kann mich noch einen weiteren Klassenkameraden erinnern, der mitdemonstrierte, ansonsten blieb mir vor allem der Stacheldraht in Erinnerung, vor dem ich einen Mordsrespekt hatte.
Film und Artikel zeigen, dass die Demo nicht ganz ohne Prominez ablief und auch nicht so friedlich war, wie in meiner Erinnerung.
https://www.filmothek.bundesarchiv.de/video/586878?set_lang=de
https://www.wr.de/archiv-daten/wasserwerfer-vor-der-siegerlandhalle-id1289635.html

No.4 Grafschaft
Demonstration gegen „Kriegsforschung“ am Fraunhofer-Institut / Winter 1969

Zum sachlichen Hintergrund gibt es einen ausführlichen Artikel des Instituts. Das genaue Datum der Demo konnte ich nicht herauzsfinden.

Im Unterschied zu den bisherigen Demonstrationen gehörte ich hier zum Kreis der „Organisatoren“. Ich war häufig im Republikanischen Clunb in Siegen, der auch von Mitgliedern des SDS Frankfurt unterstützt wurfe. Hannes Weinrich vom SDS kam mit Informationen zu den dunklern Machenschaften des Instituts und bald stand die Notwendigkeit einer Demo klar im Raum. Da die Verkehrsverhältnisse im Sauerland damals (wahrscheinlich heute auch noch) ziemlich katastrophal waren, blieben wir auf jemand angewiesen, der ein Auto hatte: Karl-Heinz M.
Wir fuhren nach Grafsachaft und Schmallenberg um SDS-Flugblätter in einer Diskothek zu verteilen. Direkte Unterstützung aus Grafschaft/Schmallenberg erinner ich nur in Gestalt eines Schülers.
Die Demonbstration selbst verlief recht lahmarschig für mein damaliges Empfinden und ich fuhr auch frustiert nach Hause. Dachte ich doch, dass es mit der Kriegsforschung nun munter weitergehen würde. Ich hör aber noch den Ruf „Flieg Falke flieg, Grafschaft will keinen Krieg.“ (Falke ist der lokale Strumpffabrikant und ein Mitglied der Familie stellte damals den Bürgermeister.)
In dem Artikel des Institutes heißt es am Ende:
„So unkritisch die Agitationen der sozialistischen Gruppierungen auch waren, so wurde doch dadurch eine allgemeine und prinzipielle Diskussion militärtechnisch relevanter Forschung bzw. der Auftragsforschung als Ganzes angestoßen, in deren Folge diese Themen – nach einer sachlichen Aufarbeitung – auch einem größeren Rezipientenkreis zugänglich gemacht wurden.“
Na denn!


Veröffentlicht in Politik.

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