(Zuerst veröffentlicht am 16.08.2012)
Im „Spiegel“ lese ich, dass die spanische Modemarke Zara nur elf Tage braucht vom Design eines Kleidungsstücks bis zu dessen Verkauf in den Filialen. Es gibt die totale Verfügbarkeit. Alles ist immer im Angebot.
Guthrie stammt aus einer Zeit, als Dinge noch Wurzeln hatten. Barbara Mürdter schreibt, wie Woody Guthries bekanntester Song „This land is our land“ zurückgeht auf verschiedene alte Folksongs aus unterschiedlichen Regionen. Seine Songs gehen zurück, aber sie weisen auch immer nach vorn. Sieh zu, dass dies Dein Land ist!
Nie war die Musik Woody Guthries so einfach zu kaufen, zu beziehen, illegal downzuloaden wie heute, aber das heißt ganz sicher nicht, dass Guthrie in irgendeiner Form prägend sein könnte, dass sein Erbe den Stellenwert haben könnte, den es verdient. Allgemeingut ist es nicht.
Eben deshalb ist sein 100-jähriges Jubiläum bedenkens- und die Biographie von Barbara Mürdter beachtenswert. Sie ist unter dem Titel „Woody Guthrie – die Stimme des anderen Amerika“ im Verlag Neues Leben erschienen und kostet 17,95€.
Menschen meiner Generation sagen oft, dass sie Woody durch Dylan kennengelernt hätten. Ich bezweifel das ein wenig, denn der Dylansong „Song for Woody“ erschien auf Dylans erster LP, die ziemlich in der Versenkung verschwandt. Ich erinner mich daran, dass Donovan den Gitarrenspruch „This machine kills.“ für sich übernahm und auch, wie er Guthriesongs coverte bzw. mit dem Spruch einleitete „This one’s for Woody“. („Fascits“ hat er wegggelassen) Das reichte aus, um nach eben diesem Woody zu forschen, was sich als ziemlich schwierig erwies. Geschichten gab es bald genug, durch Dylan und später Woodys Sohn Arlo, dessen „Alice’s Restaurant“ ziemlich populär wurde. Meine erste LP mit Woodys Songs war ein DDR-Import, gekauft an einem Bücherstand der DKP. So gesehen ist das Schnee von gestern, ist Woody Guthrie nur Geschichte.
Vor zwei Jahren traten Gilian Welch und Dave Rawlings in Groningen auf und bei ihrer Version von „This land…“ war der Applaus stärker als bei allen anderen eigenen Kompositionen und es war deutlich zu spüren, dass der Applaus vor allem auch dem sozialkritischen Engagement des Songs in seinen „vergessenen“ Strophen galt. Als junger Mensch hatte ich mich gefragt, was denn so toll alternativ an dem Song war – die beiden sozialkritischen Strophen nicht kennend. Vor kurzem erschien Neil Youngs neues Album „Americana“, auch dieses mit einer vollständigen Version des Songs, die ihre Kraft auch wieder aus ihrer Vollständigkeit erhielt. Mir scheint es ein gutes Zeichen zu sein, dass Künstler keinen weichgespülten Guthrie haben wollen.
Ich glaube, dass es Guthrie gefallen würde, dass er im Gedächtnis geblieben ist vor allem durch seine Songs und dass diese Songs nicht nur in Jubiläumsjahren beachtet werden.
Vielleicht ist es platt und banal, aber ich möcht’s doch erwähnen: Wenn ich lese, dass die Spanier bei 50%iger Jugendarbeitslosigkeit sparen sollen, damit die kriminellen Banken gerettet werden, die gerade diese Arbeitslosigkeit verschuldet haben, dann erinnert mich das schon an Woody:
I’ve seen lots of funny men
Some will rob you with a six gun
And some with a fountain pen
But as trough this life you roam
You will never seen an outlaw
Drive a famliy from his home.
(Ballad of Pretty Boy Floyd)
Zum Buch:
Ehrlich gesagt, kann ich nicht sagen, ob alles Wesentliche gesagt wird, ob Wichtiges verschwiegen wird, ob Mythen blind übernommen werden …. Doch, das stimmt schon nicht: es werden ne Menge Klischees angesprochen, die ja nicht zuletzt von Guthrie selbst verursacht wurden, aber billig bedient werden sie nicht, Woody wird als widersprüchlicher Typ erlebbar gemacht. Barbara Mürdter hat eine ziemlich komprimierte Biografie verfasst, die aber auch die unsympathischen Allüren Woodys aufgreift, seine unkritische Haltung gegenüber Stalin, seine Verwertung/Verwurstung fremder Songs unter eigenem Namen. Wichtiger ist jedoch die Grundlegung ihrer Biographie durch die Darstellung soziologischer und politischer Zeitströme, die für das Leben Guthries von ebenso großer Bedeutung waren wie seine Krankheit und seine familiären Verbundenheiten in der Familie Guthrie. Vor dem geschichtlichen Hintergrund werden seine Aktionen erst nicht nur verständlich sondern auch exemplarisch. Rückblickend muss man sagen, es war zwingend logisch, dass es einen Musiker gab, der die tradionelle Musik kannte und der vor dem eher konservativen Hintergrund seiner Herkunft in den speziellen Zeiten explizit linke Songs schreiben musste. Das ist auch ein Gedanke für die Zukunft: Welche Auswirkungen wird eine massive Wirtschaftskrise für die Inhalte der Popmusik haben? Was ist, wenn den ganzen mittelständischen Konsumdeppen im Zuge einer Wirtshaftskrise die Grundlagen wegbrechen?
Noch ein kleiner kritischer Gedanke: 1941 bekommt Guthrue ein lukratives Angebot, das aber eine Distanzierung von der KP zur Voraussetzung hatte. Woody kneift den Schwanz ein und passt sich an, für ihn ein komplett untypisches Verhalten (das sich allerdings wiederholen sollte). Als Begründung gibt Barbara Mürdter an, er wolle vielleicht den finanziellen Wünschen seiner Familie nachkommen oder habe das Gefühl gehabt politisch in eine Sackgasse gekommen zu sein. Beide Motive spielen in der weiteren Biographie eigentlich keine Rolle mehr, vielleicht hat er einfach Schiss, nie die verdiente Anerkennung zu bekommen. Ansonsten stellt die Biographie sehr deutlich heraus, dass Guthries Verhalten oft egozentrisch und rücksichtslos war. Wir brauchen keine unfehlbaren Helden, von Guthrie kann man auch dann ne Menge lernen, wenn man sieht, dass er oft ein ziemlicher Arsch war.
Lest das Buch und hört seine Musik.