Wofür steht eigentlich noch mal die FDP?

Eine Bestandsaufnahme.

1. Thüringen

Politische Ereignisse sind oft nicht mehr so wichtig wie die anschließende mediale Aufbereitung. Das gilt z.T. auch für die Wahl des FDP-Mannes Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen mit Stimmen der AfD.

(Das Beitragsbild stammt von Extra drei)

Christian Lindner dazu in seiner ersten Stellungnahme:

FDP-Chef Christian Lindner hat Thomas Kemmerich verteidigt. Der neue thüringische Ministerpräsident habe mit seiner Kandidatur das Zeichen verbunden, dass auch die Mitte im Landtag vertreten ist – die Zustimmung der AfD sei nicht zu erwarten gewesen, meinte Lindner in einem Statement: „Wer unsere Partei in einer geheimen Wahl unterstützt, das liegt nicht in unserer Macht.“ (https://www.hna.de/politik/thueringen-wahl-ministerpraesident-news-afd-cdu-spd-fdp-linke-merkel-akk-kemmerich-lindner-zr-13521983.html)

Interessant und nebulös bleibt die Antwort auf die Frage, inwieweit CDU und FDP die AfD-Unterstützung vorher bekannt war und als akzeptabel gefunden wurde.
Kemmerich dazu:

„Ich war mit Christian Lindner permanent im Kontakt. Wir haben auch besprochen, was wir hier in Thüringen beschlossen haben“, sagte Kemmerich. „Er hat gesagt, die Entscheidung trifft letztlich der Thüringer Verband.“ Zuvor hatte das Magazin Business Insider berichtet, Lindner habe zwei Tage vor der Wahl grünes Licht für eine Kandidatur Kemmerichs gegeben. Dabei sei auch die Möglichkeit besprochen worden, dass dann die AfD für ihn stimmen könnte. (https://www.echo24.de/welt/thueringen-wahl-ministerpraesident-news-afd-cdu-spd-fdp-linke-merkel-akk-kemmerich-lindner-zr-13521983.html)

Auch der CDU war die Gefahr der Lage bewusst:

Auch hat CDU-Chefin AKK im Heute-Journal erklärt, dass die CDU-Spitze mit diesem Schachzug der AfD gerechnet hat. Und Lindner darum bat, keinen FDP-Kandidaten aufzustellen. Lindner hatte behauptet, von nichts gewusst zu haben: Das muss eine Lüge gewesen sein. (https://www.volksverpetzer.de/aktuelles/video-kemmerich-cdu/)

Selbst in Thüringen gab es deutliche Warnungen:

An die Öffentlichkeit durchgesickerte – unbestätigte – Aussagen des früheren Thüringer Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) könnten zudem die CDU-Spitze weiter belasten. Laut einem Bericht des MDR hatte Althaus bereits knapp drei Tage vor der Wahl das Präsidium der Landes-CDU in einer Telefonkonferenz gewarnt, die AfD lege mit ihrem Ministerpräsidenten-Kandidaten nur „die Leimrute“ aus. Konferenzteilnehmer berichteten dem Sender, Althaus habe eindringlich zu einer Enthaltung im dritten Wahlgang geraten. (https://www.merkur.de/politik/thueringen-wahl-ministerpraesident-news-afd-cdu-spd-fdp-linke-merkel-akk-kemmerich-lindner-zr-13521983.html)

Nun sollte man meinen, spätestens einen Tag nach der Wahl sei der FDP bewusst geworden, in welchen Schlamassel sie geraten war. Schließlich hatte ja auch Lindner seine anfängliche Äußerung revidiert.
Aber:

Kemmerich hatte angekündigt, sein Ministerpräsidenten-Gehalt spenden zu wollen. Als Empfänger der Mittel kündigte Kemmerichs Sprecher Thomas Reiter der Bild den Verein „Vereinigung der Opfer des Stalinismus e.V.“ (VOS) an. Nun ist publik geworden: Der Vorsitzende der Thüringer Landesgruppe des Vereins, Matthias Katze, kandidierte noch bei der Thüringer Landtagswahl für die AfD und trat erst Wochen vor dem Wahltermin aus der Partei aus, wie die Thüringer Allgemeine damals berichtete. (https://www.merkur.de/politik/thueringen-wahl-ministerpraesident-news-afd-cdu-spd-fdp-linke-merkel-akk-kemmerich-lindner-zr-13521983.html)

Dass Kubicki von einem „großartigen Erfolg“ für Kemmerich gesprochen hatte ist wohl nur seiner mentalen Stärke zuzuschreiben. (https://www.rtl.de/cms/wahl-in-thueringen-und-die-folgen-alice-weidel-findet-s-unglaublich-4484450.html)

Man fragt sich, aus welchem Grund die FDP diese Risiken eingeht und wird fündig bei der Untersuchung des Wählerpotentials der Partei:

Quelle: https://www.hna.de/politik/thueringen-wahl-ministerpraesident-landtag-umfrage-afd-fdp-cdu-spd-zusammenarbeit-zr-13529700.html

Etwas überraschend sind allerdings die Ergebnisse bei der FDP: Unter ihren Anhängern finden 25 Prozent einen prinzipiellen Ausschluss der Zusammenarbeit mit der AfD richtig. Dagegen würden sich ganze 62 Prozent wünschen, dass man von Fall zu Fall entscheide, ob man mit der AfD zusammenarbeite. (https://www.hna.de/politik/thueringen-wahl-ministerpraesident-landtag-umfrage-afd-fdp-cdu-spd-zusammenarbeit-zr-13529700.html)

2. Offenheit und Toleranz oder Alltagsrassismus

Nicht neu:
Man muss gar nicht bis zur Nachkriegszeit zurückgehen um die problematische Einstellung der FDP zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu verfolgen:
* 2002 glänzte Jürgen Möllemann mit Flugblättern gegen Ariel Scharon und den ehemaligen Vize des Zentralrats der Juden.
* Parteivorsitzender Rösler wurde mehr oder weniger offen in der Partei als „Chinese“ bezeichnet
* und Lindner verharmloste 2016 den Schlitzaugen-Kommentar von G. Oettinger als „dummen Spruch“. (https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-07/fdp-rassismus-christian-lindner)

Bekannt wurde auch Lindners Brötchenrede beim Parteitag, in der Verständnis für Angst vor Fremden äußerte:

Da bestellt sich einer beim Bäcker „mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen“ und die Leute in der Schlange wissen ja dann nicht, „ob das der hoch qualifizierte Entwickler Künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer“, sagt er in seiner Parteitagsrede. Das löse doch bei den Menschen Ängste aus. (https://www.fr.de/meinung/aetzend-auslaenderfeindlich-10995717.html)

3. Das Vokabular

Als Lindner von Übermannung spracht, hab ich erst einmal gestutzt. Wie kommt er zu dem Begriff und was klingt da mit. Ich dachte sofort an Klöaus Theweleits „Männerphantasien“ und schaute genauer hin:

Nachdem es eine Weile lang stiller um ihn wurde, schien er sein wahres Metier wiederentdeckt zu haben als das Klimathema mehr in den Fokus der Öffentlichkeit geriet und sich Lindner zum Kulturkämpfer gegen die Grünen aufschwingen konnte. Wie Stefan hier schon schrieb, bediente er sich dabei munter Vokabular aus der AfD-Ecke und sprach am liebsten von Umerziehung oder Zwang. Ernsthafte Auseinandersetzung mit Regierungsthemen sind weniger belegt. (http://www.deliberationdaily.de/2020/02/offensichtlich-uebermannt/)

Die Einsicht in eine neue Klimapolitik ist bei der FDP kaum angekommen. Die Lieblingsvokabel passt allerdings eher in das Kambodscha Pol Pots als nach Deutschland im Jahr 2020:

In der Debatte um die sogenannte Verkehrswende hat der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner das Recht der Bürger auf ein eigenes Auto verteidigt und Umweltpolitikern vorgeworfen, sie betrieben „Umerziehung“.
Millionen Menschen wollten an dem „individuellen Freiheitsversprechen“ eines eigenen Autos festhalten, „eine lautstarke und bisweilen aggressive Minderheit macht dagegen Front. Im Gewand scheinbarer Progressivität wird Umerziehung gefordert“, schreibt Lindner in einem der „Welt“-Gastbeitrag. (https://www.epochtimes.de/politik/deutschland/fdp-chef-bezeichnet-verkehrswende-als-umerziehung-a3008525.html)

Spricht man von Greta Thunberg, so besteht er darauf, man solle Klimapolitik den „Profis“ überlassen und nicht in „Panikmodus“ verfallen. Aber auch hier kommt wieder die ganz große Keule: Er hat Angst, “ dass die Menschen eine freiheitliche Lebensweise behalten können “ (https://www.spiegel.de/politik/christian-lindner-viele-menschen-haben-auch-noch-andere-sorgen-als-das-klima-a-00000000-0002-0001-0000-000168598640)

Bei der Klimafrage ist niemand vor ihm sicher – und immer verliert er die Maßstäbe, hier zu Umweltministerin Schulze:

Die Ministerin hatte im Februar gegen den Willen der Union einen ersten Entwurf für ein Klimaschutzgesetz vorgelegt, das Lindner jetzt scharf kritisiert: „Svenja Schulze versucht sich an ihrem Schreibtisch mit weltfremden Ein-Jahres-Plänen für den Klimaschutz. Das ist schlimmer als in der DDR“, sagte er. (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/christian-lindner-schueler-sollen-in-freizeit-fuer-klimaschutz-demonstrieren-a-1257086.html)

Der Hauptfeind ist dabei immer schnell ausgemacht: Die Feinde der Meinungsfreiheit und des ungehemmten Lebens eines freien Mannes sind die Grünen. Neben der Energiepolitik verzerrt hier die FDP vor allem die Erkenntnis der Grünen, dass Fleischkonsum nicht allein seligmachend ist:

FDP-Chef Christian Lindner wirft den Grünen vor, das Land mit ihrer Politik ökologisch umerziehen zu wollen. „Sie wollen den Petrolheads das Auto nehmen und den Fleischliebhabern das Steak. Und für die Mittelschichtsfamilie wird die Flugreise nach Mallorca teurer“, so Lindner im Gespräch mit der „Welt“. Und weiter: „Parteichef Robert Habeck träumt von Deutschland als einem fleischlosen Land.“ (https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/fdp-chef-lindner-gruenen-chef-habeck-will-fleischloses-deutschland-62273100.bild.html)

Die Süddeutsche Zeitung spricht von einer selbstdestruktiven Kraft, mit der die FDP gegen Umweltschutz und Klimapolitik vorgeht. (https://www.sueddeutsche.de/politik/klimawandel-meinung-1.4616833)

4. Zusammen ist man stärker

Hier nur ein Artikel zu Beispielen für den Tabubruch auf lokaler Ebene, der ja eigentlich unmöglich sein sollte. Weiteres kann man googeln:

https://www.tagesspiegel.de/politik/gegen-die-vorgaben-der-parteizentrale-so-haeufig-kooperieren-cdu-und-afd-in-ostdeutschen-kommunen/25019576.html

https://gruene-seenplatte.de/presse/news-detail/article/gruene_entsetzt_ueber_offene_zusammenarbeit_von_cdu_und_fdp_mit_der_afd_im_kreistag_der_seenplatte/

Veröffentlicht in Politik.

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